Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Etappe 8: Leon - Santiago de Compostela 319 km

Veröffentlicht am 15.08.2012


Karten Etappe 8: León bis Santiago 

 

Fotos Etappe 8: León - Santiago

 

96. Tag           05.08.2012      León bis Hospital de Órbigo                       35,5 km

 

Ich beginne meinen Weg am Kathedralenvorplatz, komme beim Verlassen der Stadt an praktisch allen bedeutenden Monumenten Leóns vorbei. Am Kloster San Marcos, in dem das Luxushotel Parador eingerichtet ist, mache ich kurze Pause, grüße das bronzene Pilgerdenkmal unter dem steinernen Kreuz, verlasse die Stadt über den Fluss Bernesga. Der Weg führt durch Vorstädte und Gewerbegebiete in den Ort La Virgen del Camino. Hier treffe ich auf die Nationalstraße N120, verlasse sie links auf einer schmalen Asphaltstraße, die an einem kleinen Teich mit einer metallenen Pilgerstatue vorbei in eine Senke führt, in der, undeutlich gekennzeichnet, die Alternativroute in die Felder abbiegt. Ich nehme die Variante, um nicht entlang der verkehrsreichen Nationalstraße laufen zu müssen.

 

Auf brauner steiniger Schotterstraße geht es durch Brachland zu einen Kreisverkehr, dort kreuze ich auf einer Brücke die Autobahn und laufe auf einer geteerten Landstraße an Fresno de Camino vorbei nach Oncina de la Valdoncina. Hier endet die Asphaltstraße, ein brauner Kiesweg führt hinauf auf die Meseta, durch Ödland an schütteren Kornfeldern und schwach bewaldeten Hügeln vorbei komme ich nach Chozas Abajo, mache dort meine Bocadillo-Pause. Hinter Chozas Abajo erreiche ich Villar de Mazarife, ein unschönes Dorf auf der Meseta, schon von weitem zu sehen und in dem ich übernachten möchte. Am Ortseingang ein kleiner Teich, ein Hubschrauberlandeplatz und ein großes Gebäude mitten im Feld: ein Altersheim „Edad de Oro - Goldenes Alter“.

 

Gegenüber der Herberge San Juan de Padua schaue ich in meinen Reiseführer, gehe dann weiter. Mir wird aus der Herberge ein „Buen Camino“ nachgerufen, es klingt höhnisch, vielleicht weil ich nicht in der Herberge eingekehrt bin, aber vielleicht bin ich auch nur überempfindlich. Ich biege ab zum Gasthaus „Tio Pepe“, möchte dort ein Zimmer mieten, betrete den Schankraum, der einen schmuddeligen Eindruck macht und voller Dorf-bewohner ist, die nach dem Kirchenbesuch ein Glas Wein trinken wollen. Ich werde nicht beachtet, nach etwa 10 Minuten erkundigt sich der Wirt unfreundlich nach meinem Wunsch, ich frage nach einem Zimmer, er sagt, alles sei ausgebucht, aber ich könne im Massenlager noch ein Bett haben.

 

Ich bin unzufrieden, verlasse den Ort, gehe an der schlecht verputzten Kirche mit den baufälligen Glockenarkaden vorbei und schlage den Weg nach Hospital de Órbigo ein. Eine schnurgerade asphaltierte Landstraße führt durch grünes, bewässertes Land auf die Berge der „Montes de León“ zu, wird nach einer Straßenkreuzung zu einem Schotterweg der an einem Bewässerungskanal und einer Hochspannungsleitung entlang Villavante erreicht. Ich gehe am Dorf vorbei, ignoriere die gelben Pfeile, die hineinzeigen, komme an eine Bewässerungsleitung aus Beton. Darauf sind gelbe Pfeile, aber durchgestrichen. Ein paar Worte warnen. „Gefahr, Eisenbahn (Peligro, FFCC)“. Ich frage einen Bauern, der neben dem Weg am Bewässerungssystem arbeitet, ob ich die Eisenbahngleise über-schreiten könne, er sagt mir, ich solle ruhig weitergehen. Durch das Schotterbett kreuze ich die Schienen, nachdem ich mich sorgfältig vergewissert habe, dass kein Zug naht. Hinter der Eisenbahn eine Autobahnbrücke, gelbe Pfeile an einer Wegkreuzung zeigen in alle Richtungen, sind übermalt, verändert. Ich gehe gerade weiter in Richtung auf den Wasserturm, kreuze bei einem Kreisverkehr die N120, folge dem Wegweiser „Puente Orbigo 1 km“ und laufe über die lange steinerne Römerbrücke in die Stadt. Gleich hinter der Brücke steht ein Hotel.


 

97. Tag           06.08.2012      Hospital de Órbigo bis Astorga                   17,5 km

 

Ich folge der Hauptstraße durch das Dorf, nehme am Ortsende die Abzweigung nach rechts auf einen Schotterpiste, die gerade an Bewässerungskanälen entlang durch Maisfelder nach Vilares de Órbigo führt, vermeide die Hauptstrecke des Jakobsweges, die wieder an der Nationalstraße N120 entlang führen würde.

 

Vor dem Ort Vilares Pappelplantagen, die Bäume stehen ordentlich in Reih und Glied, sind durch Zäune vor Weidevieh geschützt. Ich gehe gerade durch das Dorf, dahinter auf einem kiesigen Pfad an einem Brunnen vorbei einen Hügel hinauf, erreiche eine geteerte Landstraße die hinunter nach Santibáñes de Valdeiglesias führt, das zwischen Feldern und waldbedeckten Hügeln in einem Tal liegt.

 

Hinter dem Dorf beginnt eine steinige Kiesstraße, oft mit losem Geröll bedeckt, die, erst an großen Schafställen vorbei, dann hügelauf-hügelab zwischen niedrigem Eichengesträuch und abgeernteten Feldern hindurch verläuft.

 

Nach einem letzten Anstieg komme ich auf ein Plateau und an einer kleinen Scheune vorbei, an der Bio-Obst und Getränke verkauft werden, zahlreiche Pilger versorgen sich hier mit Mittagessen und rasten. Ich überquere eine Asphaltstraße, vor mir ragt das Wegkreuz von „Santo Toribio“ in den Himmel. Dort setze mich auf eine Bank am Rastplatz und genieße den phantastischen Ausblick auf die Berge im Norden und Westen und zu den Türmen der Kathedrale von Astorga im Vordergrund.

 

Auf einem betonierter Wanderweg geht es hinunter nach San Juan de la Vega und auf die Nationalstraße N120, ich folge ihr über die Brücke, die den Río Tuerto überquert, biege dahinter auf einen weißen Kiesweg ab, immer in Richtung auf die Kathedrale der Stadt Astorga gehend.

 

Ich komme an den Lagerhallen einer Fabrik vorbei, eine steinerne Bogenbrücke kreuzt einen Bach, eine moderne Stahlbrücke die Eisenbahnlinie.

 

Bergauf geht es in die Stadt zur Plaza San Francisco, dann am alten Rathaus vorbei durch Geschäftsstraßen zum Platz vor der Kathedrale und dem Bischofspalast, der von Gaudí entworfen wurde, heute ein Museum ist. Die Türme der Kathedrale sind aus Steinen unterschiedlicher Farbe, der eine rosa, der andere grau, gemauert.

 

Astorga, - Asturica Augusta hieß die Stadt einst - ist eine römische Siedlung, ausgegrabene bauliche Reste sind unter Schutzdächern am Straßenrand zu sehen.

 

 

98. Tag           07.08.2012      Astorga bis Rabanal del Camino                20 km

 

Der Jakobsweg ist in Astorga sparsam markiert, aber an jeder wichtigen Abzweigung sehe ich eine Muschel oder einen gelben Pfeil, so dass ich problemlos aus der Stadt hinausfinde.

 

Ich laufe eine recht befahrene Straße entlang, überschreite auf einer Brücke die Autobahn und komme nach Murias de Rechivaldo.

 

Eigentlich wollte ich in das Museumsdorf Castrillo de los Polvozares abbiegen, verpasse aber die Abzweigung und wandere einen weißen Kiesweg entlang, der über eine flach ansteigende Ebene auf die Berge vor mir zuläuft, im Tal neben mir sehe ich das Museumsdorf. Bald erreiche ich, bei einer Kreuzung mit einer vielbefahrenen Straße - ich muss mehrere Autos abwarten, bevor ich weitergehen kann - eine schmale Landstraße, neben der ein Feldweg nach Santa Catalina de Somoza verläuft.

 

Ich durchschreite die Maragatería, eine karge Landschaft, bewachsen mit Heidekraut und niedrigem Wald, dazwischen einzelne Getreidefelder. Interessant ist, dass der Name an die Margerie in Frankreich erinnert, die in ähnlicher Lage vor dem Zentralmassiv liegt. Die Berge kommen näher, hinter Santa Catalina geht es weiter neben der kleinen Straße nach El Ganso.

 

Am Ende der Ortschaft beginnt Wald, erst harzduftende Pinien, dann niedere, knorrige Eichen, der mit einem Maschendrahtzaun vor Weidevieh geschützt ist und in den natürlich wieder Kreuze aus Holz und Gras eingeflochten sind.

 

An einem Hubschrauberflugplatz vorbei komme ich nach Rabanal, das Dorf mit seinen aus braunem Sandstein gebauten Häusern erstreckt sich längs der Buckelpflasterstraße. Bei der Kirche und dem Kloster, das von Mönchen aus St. Ottilien bei München geleitet wird, biege ich ab und gehe zur Pilgerherberge, in der ich ein Zimmer reserviert habe.


 

99. Tag           08.08.2012      Rabanal del Camino bis Ponferrada                     32 km

 

Ich verlasse Rabanal auf einem weißen Kiesweg, der neben der Landstraße LE142 gleichmäßig den Berg hinaufführt, sie gelegentlich kreuzt, aber nie ganz verlässt. Auf den Bergkämmen drehen sich Windräder, auf einer Kuppe steht ein Fernsehsender. Ich suche mir einen Stein, einen schönen, schneeweißen Quarz, den ich am Cruz de Ferro ablegen möchte.

 

Auf der Hochebene erreiche ich Foncebadón, halb zerfallen, aber die Kirche und einige Restaurants sind wieder aufgebaut, so kann ich Frühstückspause machen, die ich in Rabanal ausgelassen hatte, weil die Kaffeebar dort von zu vielen Pilgern umlagert war.

 

Es geht weiter auf dem Weg parallel zu Landstraße, aus dem Wald vor mir ragt der Eichenmast des Cruz de Ferro auf, umgeben von seinem Steinhaufen. Auf der Landstraße hat ein Bus geparkt, vielleicht 50 Menschen stehen neben dem Eichenmast auf den Steinen, posieren für Fotos. Ich warte in einiger Ent-fernung, bis die Gruppe zum Bus zurückkehrt, wegfährt, gehe dann zum Kreuz und lege meinen Stein an einer schönen Stelle ab. Ich hatte auf ein paar besinnliche Minuten, hier an der höchsten Wegstelle der Montes de León in 1517 m Höhe gehofft, aber zu viele Radpilger und wenige Fußgänger umlagern das Kreuz für Erinnerungs-fotos.

 

So gehe ich weiter auf dem Kiesweg, der parallel zur Straße verläuft, genieße die herrlichen Ausblicke in die Täler und Schluchten, passiere Manjarín, komme durch Kiefern- und Kastanien-wälder. In leichtem Auf und Ab laufe ich unter einer Richtfunkstation vorbei, die auf einer Bergspitze von dunklen Bäumen umgeben aufragt, komme in Flächen mit lila blühender Heide. Der Weg senkt sich, jetzt geht es steinig und steil, teilweise ist der Weg von lockerem Geröll bedeckt, lange und mühsam hinunter nach El Acebo, das sich mit seinen aus dunklem Schiefer gedeckten Häusern in eine Mulde am Hang duckt.

 

Von El Acebo aus laufe ich auf der Landstraße, bis der Pfad einen Abschneider nutzt, der direkt nach Riego de Ambrós hineinführt. Hinter dem Dorf noch einmal ein Pfad auf Felsplatten, steil hinab in ein Tal mit knorrigen, uralten Kastanien, dann flacher an einem Hang entlang nach Molina Seca. Ich gehe über die alte Römerbrücke, die den Fluss Meruelo überspannt, in das Dorf, durchquere es auf der langen, geraden Straße und komme wieder auf die LE142, jetzt eine breite, vielbefahrene Verkehrsader, neben der ein rot gepflasterter Fußweg verläuft.

 

Ich verzichte auf den Umweg über El Campo, bleibe auf der Hauptstraße und gehe direkt zwischen den Wohnblöcken der Vorstadt hindurch in das historische Zentrum von Ponferrada, das im Schatten der mächtigen Templerburg liegt.

 

 

100. Tag         09.08.2012      Ponferrada bis Villafranca del Bierzo                   24,5 km

 

Der Weg aus Ponferrada heraus ist sparsam markiert. Ich gehe vom Zentrum eine steile Treppe hinunter, überquere den Fluss Sil und laufe durch Vorstadtwohnblöcke an Schulen und Industrieanlagen vorbei lebhafte Straßen entlang.

 

In einem kleinen Park passiere ich eine Kirche, gehe durch ein Villenviertel, in einem Tunnel unter einer Schnellstraße hindurch und habe endlich Ponferrada verlassen. Neben der kleinen Landstraße geht es, durch bewässerte Maisfelder und Pappel-plantagen hindurch, nach Fuentes-nuevas. Ich laufe durch das lange Straßendorf, in dem noch einige alte Fachwerkhäuser stehen, komme nach Camponaraya, passiere eine Wein-kellerei und kreuze die Autobahn. Jetzt wandere ich eine ganze Weile auf gerader Schotterstraße und zwischen Weinfeldern hindurch nach Cacabelos.

 

Ich kreuze eine lebhafte Straße und gehe hinunter in das Dorf. In Cacabelos ist Markttag, ich drängle mich durch das Getümmel, verlasse die Ortschaft auf einer Brücke über den Fluss Cúa und steige neben der vielbefahrenen Landstraße einen Hügel hinauf, bis hinter Pieros rechts der Weg nach Valtuille de Arriba abzweigt. Hügelauf-hügelab laufe ich durch Weingärten, durchquere das kleine Dorf. Der Schotterweg führt erst schattig durch ein Tal, dann in der glühenden Nachmittagssonne über Hügel nach Villafranca.

 

Villafranca del Bierzo wird nicht nur wegen seiner vielen Kirchen und Monumente das „Kleine Compostela" genannt, sondern auch, weil kranken Pilgern früher schon hier der Ablass ermöglicht wurde, wenn sie Santiago nicht mehr erreichen konnten.

 

Am Ortseingang steht die romanische Santiago-Kirche mit der Porta del Perdón, die geschlossen ist: ich muss also weiter bis Santiago, um Ablass aller meiner kleinen Sünden zu erreichen. Auf steilen betonierten Wegen geht es am Castillo vorbei hinunter in die Stadt. Auf der Plaza Mayor Pilgertrubel, alle Restaurants bieten Pilgermenüs für wenig Geld an, sind von Pilgern aus aller Welt besetzt.

 

Ich mache einen Rundgang durch den Ort, genehmige mir ein kühles Bier und suche ein Hotel.

 

 

101. Tag         10.08.2012      Villafranca del Bierzo bis O Cebreiro                   29,5 km

 

Villafranca wird auf der Brücke über den Búrbia-Fluss verlassen, dann geht es in einem idyllischen Tal entlang des Flusses bis zur Nationalstraße N VI. Hier beginnt der lange Weg an der Straße entlang, der durch eine hüfthohe Betonmauer vom Verkehr getrennt ist. Seit dem Bau der Autobahn, die auf hohen Brücken immer wieder das Tal kreuzt, fahren nur wenige Autos auf der N VI.

 

Ich lasse den Weg, der durch Pereje führt, aus, tappe weiter an der Betonmauer entlang, biege erst bei Trabadelo ab, um dort in einer Bar einen Kaffee zu trinken.

 

Unter einer Autobahnbrücke komme ich wieder auf die N VI, laufe bis zur Autobahn-raststätte und verlasse dort die breite Hauptstraße, gehe nach Portela hinein. Nun folgen in kurzem Abstand die Dörfer Ambasmestas und Vega de Valcarce, langgezogen an die Straße gebaut.

 

Durch ein grünes Tal komme ich nach Ruitelán, mache in der Bar Mittagspause, die Dorfbewohner in der Bar beschweren sich, untereinander schwätzend, das nirgendwo Ruitelán erwähnt wird, Vega und Ambasmestas ja, aber Ruitelán nie. Ich hole das hiermit nach! Dann beginnt in einem grünen Tal der Aufstieg auf die Berge, die Galicien vom Bierzo trennen, erst auf einem Teersträßchen, dann auf einem felsigen Waldweg, der in Serpentinen sehr steil durch Kastanienwald nach La Faba hinaufführt.

 

La Faba wird auf geradem Weg durchschritten, jetzt wird es etwas flacher, geht aber immer noch recht steil bergauf. Gut, dass ich mein Trinkwasser aufbewahrt habe, mein Hemd ist total durchgeschwitzt, ich trinke in kurzem Abstand beide Flaschen leer. Der Wald ist unter mir zurück-geblieben, durch Wiesen und Heidekraut erreiche ich Laguna de Castilla: drei Bauern-häuser und eine Herberge.

 

Ich gehe weiter bergauf, passiere den Grenzstein von Galicien, der total mit Graffiti verschmiert ist. Rückblickend genieße ich großartige Ausblicke ins Tal und die umgebenden Berge.

 

Ich erreiche eine lange Mauer, die einen Wald am Berghang vor Weidevieh schützt, dahinter die ersten Häuser von O Cebreiro, ein verlassenes Bauernhaus, die Pfarrkirche, in der der Heilige Gral von Galicien ausgestellt ist, von Mönchen bewacht und gegen Eintritt zu besichtigen, Pilgerherbergen, ein Hotel, Pilger- und Touristentrubel, Andenkenläden voller Keltenschmuck, ein Restaurant.

 

 

102. Tag         11.08.2012      O Cebreiro bis Sarria                      39,5 km

 

In O Cebreiro wandere ich am frühen Morgen, die Sonne versteckt sich noch hinter den Bergen, an den verschiedenen Pilgerherbergen vorbei zur Landstraße und gehe sie bis Liñares entlang, dann auf einem Kiesweg neben der Straße zur Passhöhe von San Roque (1.260 m). Hier steht die große Statue eines Pilgers, der vornübergebeugt gegen den Wind ankämpft, beliebtes Fotomotiv. Ein junges Pilgerpärchen überholt mich, sie spielen Musik, Leonhard Cohen singt „There ain´t no cure for love“, nein, es gibt kein Heilmittel für Liebe. Seine warme Baritonstimme passt gut in die morgendliche Gebirgslandschaft.

 

Weiter neben der Straße komme ich durch Hospital de Condesa und Padornelo. Hier beginnt ein kurzer, steiler Aufstieg nach „Alto do Polo“ (1.337m), dem höchsten Pass des Camino in Galicien. Hunderte Pilger machen im Restaurant auf der Passhöhe Pause, fragen jeden, der vorbeikommt, ob er schon müde sei. Ich flüchte, gehe so schnell wie möglich weiter, erst flach, dann steil hinunter durch die liebliche galicische Landschaft über Fonfría, Viduedo und Filloval, bis ich nach 12 km Strecke und 700 Höhenmetern im Abstieg Triacastela erreiche. Am Ortseingang ein uralter, knorriger „1000-jähriger“ Kastanienbaum.

 

Im langgestreckten Ort zahlreiche Hotels, Restaurants und Pilgerherbergen, das Dorf lebt von den Pilgern. Am Ortsausgang gehe ich rechts, vermeide den Weg nach Samos, überquere die Landstraße und laufe einen geteerten Weg an einigen Lagerhallen vorbei in den Kastanienwald hinein. Bei einer Verzweigung bin ich unschlüssig, die gelben Pfeile sind nicht eindeutig. Jemand hat mit Filzstift auf einen Pfahl einen Pfeil mit dem Hinweis „Sarria“ nach links gemalt. So stapfe ich die linke Straße den Berg hinauf, es kommen keine gelben Pfeile, keine Kilometersteine mehr. Ich halte eines der wenigen Autos an, frage, ob ich auf dem richtigen Weg sei. Man sagt mir, ja, ich solle ruhig weitergehen. Nach einer Einmündung dann wieder ein Kilometerstein, ich habe eine Abkürzung genommen, das Dorf Balsa ausgelassen.

 

Die Steigung wird flacher, ich laufe an den paar Häusern und der geduckten Kirche von St. Xil vorbei, biege rechts zum Pass „Alto de Ríocabo“ (872 m) ab. Hinter der Passhöhe beginnt der zweite lange Abstieg des Tages, noch einmal 450 Höhenmeter hinunter, durch kleine, aus grauen Felsen gemauerte Dörfer. Steile Pfade auf glatten Felsen zwischen Steinmauern strapazieren die Füße, Reitpilger und ein paar Radfahrer überholen mich, ich erreiche Pintin, laufe neben der vielbefahrenen Landstraße auf einem Kiesweg hinab nach Sarria, das schon lange im Tal zu sehen war, durchquere den Vorort Vigo de Sarria.

 

Sarria ist eine moderne Stadt mit einem kleinen, alten Kern. Direkt am Ortseingang ein großes Hotel. Nach der Brücke über den Fluss, deren Geländer mit Jakobsmuscheln geschmückt ist, geht es einen Treppenstufenweg hinauf zur Kirche und in die Altstadt. Wieder zahlreiche Pilgerherbergen am Weg, auch hier ist der Jakobsweg zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden.

 

 

103. Tag         12.08.2012      Sarria bis Portomarín                      24 km

 

Ich steige durch die Altstadt hinauf zum Kloster Magdalena, gehe am Kloster einen steilen Hügel hinunter und auf einer schmalen Brücke über einen Bach. Die Eisenbahnlinie wird auf einem mit Lichtzeichen gesicherten Bahnübergang gequert, dahinter führt der Weg durch knorrigen Kastanienwald bergauf, erreicht eine Hochebene mit Blick auf die Autobahntalbrücke und das Dorf Barbadelo.

 

Es geht durch schöne, grüne Landschaft, durch Wälder und kleine, urwüchsige Dörfer, Kastanien- und Eichenalleen, die Kilometersteine zählen die Strecke herunter. Hinter Brea ist km 100 erreicht, der Stein natürlich total mit Graffiti verschmutzt, Schmierfinken können es offenbar nicht lassen, das bedeutende Ereignis, nur noch 100 Kilometer von Santiago entfernt zu sein, hier zu dokumentieren.

 

Der gelbe Pfeil weist sicher den Weg durch die vielen kleinen Ortschaften, es geht hügelauf-hügelab und an alten kleinen Kirchen vorbei. Viele Pilger sind unterwegs, ganze Schulklassen, Luxuswanderer ohne Rucksack mit organisiertem Gepäcktransport, ständig klappern die Teleskopwanderstöcke. Die Einsamkeit der Strecken in Frankreich oder Aragón ist endgültig dahin.

 

Portomarín ist schon weit zu sehen, ich muss aber noch einmal durch ein altes, aus Felssteinen gemauertes Dorf, dann geht es, steil einen Berg hinunter, nach Vilacha hinein, eine Asphaltstraße zwischen Steinmauern führt durch flache Felder an einem Kiefernwald vorbei zur Hauptstraße und Straßenbrücke über den Stausee des Río Miño, der fast leer ist. Tief unten verläuft der alte Weg über die steinerne Bogenbrücke.

 

Am Ortseingang von Portomarín ein Kreisverkehr, eine Treppe führt hinauf in das Dorf, anstrengende 100 Stufen, dann ein Plattenweg in das Zentrum mit der romanischen Wehrkirche San Nicolás, die zusammen mit dem Dorf Portomarín im Stausee versunken wäre, deswegen Stein für Stein abgebaut, durchnummeriert und hier oben wieder aufgebaut wurde.

 

Das neue Portomarín ist sorgfältig im klassischen Stil wiedererbaut, Arkadengänge säumen den Platz mit dem Rathaus und der Kirche. Auf dem Dorfplatz steht eine kleine Bühne, die Stadtverwaltung lässt sonntags Folkloretänze und Volksmusik aufführen.

 

 

104. Tag         13.08.2012      Portomarín bis Palas de Rei                        25,5 km

 

Portomarín wird auf der arkadengesäumten Hauptstraße verlassen, dann gehe ich im Zick-Zack zu der Brücke über einen Seitenarm des Stausees und auf einem Kiesweg bergauf in den Wald hinein. Vor mir eine Gruppe älterer spanischer Frauen, die kleine Zettelchen an die Kilometersteine, die den verbleibenden Weg nach Santiago markieren, kleben. Ich gifte sie sofort an, ob hier alles mit Aufklebern verschmutzt werden muss? Das ist kein Schmutz, sagen sie kleinlaut. Und wenn jeder Pilger, der hier geht, ein Zettelchen auf die Steine klebt?

 

Bei einer Hühnerfarm, die entsetzlich stinkt, erreiche ich die Landstraße LU633, verlasse sie gleich wieder auf einem Schotterweg, der an einem Bauernhaus mit einem sehr schönen galicischen Maisspeicher vorbeiführt.

 

Es geht durch Kiefernwälder, Eichenwälder, ich erreiche Gonzar. Vor mir, mit mir laufen hunderte Pilger, alle die letzten 100 km des Weges nach Santiago, ich vermisse die Einsamkeit des Weges - und bin doch auch nur einer von den vielen, die hier unterwegs sind.

 

Der Weg verläuft auf Kiespfaden neben der Landstraße, verlässt sie immer nur kurz, um dann wieder auf das Asphaltband zu treffen.

 

Hospital da Cruz, Ventas, Ligonde und Eirexe werden durchquert, am Friedhof von Lestedo steht eine der schönen kleinen Landkirchen, der Weg erreicht die Nationalstraße N547, verläuft durch Alleen etwas abseits der Straße an rustikalen, verlassenen Bauernhäusern vorbei, bis ein Kiesweg abzweigt. An einem Rastplatz und mehreren Pilger-herbergen vorbei stapfe ich recht steil hinunter nach Palas de Rei, erreiche bei der Kirche den Ort, gehe die Treppen hinunter und an der Hauptstraße entlang in das Zentrum.

 

Die Kirche hat an einem alten Vorbau einen romanischen Torbogen aufzuweisen, sonst ist Palas de Rei eine nicht sehr schöne, recht moderne Kleinstadt mit vielen Brüchen zwischen alten Häusern und modernen, gegen das galicische Wetter an der Westfront mit Blech verschalten, vier bis fünf Stockwerke hohen Bauten.

 

 

105. Tag         14.08.2012      Palas de Rei bis Arzúa                     30,5 km

 

Palas de Rei wird auf kleinen Wegen verlassen, ich erreiche bald die Nationalstraße N547, überquere sie und gehe auf mit Steinmauern begrenzten Wegen durch ein kleines Wäldchen, nur um nach wenigen 100 m wieder an der Hauptstraße zu stehen, sie zu überqueren und auf Feldwegen in das grüne galicische Land hineinzuwandern.

 

Die Hügel sind nebelverhangen, Regen liegt in der Luft, mit mir sind wieder viele Pilger unterwegs, allerdings hat sich die Menge verteilt, ich treffe nicht mehr die großen lauten Pulks von mehreren Menschengruppen.

 

Schmale Wege verlaufen zwischen Steinmauern durch verwunschen wirkende, efeu-bewachsenen Eichenwälder, kreuzen auf alten steinernen Brücken kleinen Bäche. Über Hügel hinweg und durch flache Täler werden die Ortschaften San Xulián, Pontecampaña und Casanova durchschritten, der Weg nähert sich wieder der Nationalstraße, die ersten Industriegebiete von Melide tauchen auf. Der Weg senkt sich hinunter nach Furelos, überquert auf einer Bogenbrücke einen Bach, vor der Kirche steht eine weißgekleidete Nonne, will Stempel verteilen.

 

Es geht hinauf nach Melide, zwischen Wohnblöcken hindurch an Pulpowirtschaften vorbei in das Stadtzentrum. Hier wird Mittelalter gefeiert, der Boden der Fußgängerzone ist mit Stroh bedeckt, überall stehen Verkaufsstände mit Andenken und Süßigkeiten.

 

Ich gehe in die Kirche, am Eingang ein älterer Herr, ich lasse meinen Pilgerpass abstempeln, er fragt woher ich komme, erzählt mir dann auf Deutsch, dass er lange in München und am Starnberger See gewohnt habe.

 

Durch den Vorort Santa María, vor der Kirche wieder eine weißgekleidete Nonne, geht es an Eichenwäldern, an Eukalyptushainen vorbei in ein Bachtal hinunter, wieder recht steil hinauf neben der Nationalstraße nach Boente. Ich überhole eine Gruppe sich lauthals zankender irischer Schulkinder mit ihren Lehrern. Jetzt hat es zu regnen begonnen, das erste Mal seit Frankreich, dass ich nass werde, ich freue mich darüber, lasse den Regenschutz im Rucksack. Es geht eine Birkenallee hinauf, ich komme durch Eukalyptus-wald, die Nationalstraße wird auf einer Brücke überquert, der Weg fällt, ich erreiche Ribadiso, überquere wieder auf einer alten Bogenbrücke einen Fluss. In Ribadiso gibt es mehrere Pilgerherbergen, alle sind, weil es jetzt stark regnet, von Pilgern belagert.

 

Durch einen Tunnel führt der Weg unter der Nationalstraße hindurch, dann auf einem Bürgersteig an der Straße entlang nach Arzúa hinein. Auch Arzúa ist eine Stadt mit stilistischen Brüchen zwischen Alt und Neu, im historischen Zentrum die kleine Kirche, von den Bäumen eines Parks fast verdeckt.

 

Ich laufe durch die Stadt, folge der Nationalstraße in ein Industriegebiet, in dem es ein Hotel gibt, habe so morgen zwei Kilometer Weg weniger bis Santiago!

 

 

106. Tag         15.08.2012      Arzúa bis Santiago de Compostela             39,5 km

 

Der letzte Tag meiner Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela ist angebrochen. Ich laufe die Nationalstraße auf dem breiten Seitenstreifen entlang, bis der Jakobsweg kreuzt, folge dann der Pilgerroute. Mit mir sind wieder hunderte anderer Pilger unterwegs - und ich bin einer von ihnen. Abseits der Straße geht es auf breiten Wanderwegen durch alte Alleen, Landhäuser hinter bunten Blumengärten werden passiert, immer wieder die Nationalstraße erreicht und, zum Teil gefährlich, gekreuzt. Durch alte, hohe Eukalyptuswälder erreiche ich O Pedrouzo, hinter mir ruft eine Frau immer wieder „Brigitte!“, hält Radpilger an und bittet sie in gebrochenem Spanisch eine Frau in einem roten Hemd anzuhalten und ihr zu sagen, sie möge warten. An einer Wegbiegung sitzt Brigitte dann, wartet, fragt ob ich ihre Freundin gesehen habe. Sie ist enttäuscht vom Weg, man habe ihr erzählt, dass es bei der Wanderung immer wieder große Glücksmomente gäbe, sie habe nichts davon gespürt. Aber der Weg ist Enttäuschung, sage ich, Mühe, Hitze, Durst, wunde Füße und schmerzende Schultern, die das Gewicht des Rucksacks nicht mehr tragen mögen, Einsamkeit und Enge und Verlust der Privatsphäre in den Pilgerherbergen. Das Glück liegt doch in dir, du musst es selbst finden, der Weg kann nur helfen.

 

Ich steige hinauf zum Flughafen, gehe an der Einflugschneisenbefeuerung entlang, wieder in ein Tal hinunter und dann eine letzte Steigung hinauf, zwischen den Verwaltungsgebäuden der Fernsehsender und einiger Fabriken hindurch nach San Marco und zum Monte de Gozo. Dort kann ich Santiago, das heißt, das Fußballstadion und Wohnhäuser sehen. Ich wandere die Straße hinunter, ein paar Treppenstufen, Holzbohlen bei einer Brücke über die Auto- und Eisenbahn, ein großer Kreisverkehr, das Ortseingangsschild.

 

Ich folge den Muscheln, die in den aus holprigen Platten gelegten Bürgersteig eingelassen sind, gehe durch etwas heruntergekommene Vorstadt, erreiche eine Platanenallee, die aber gleich wieder zu Ende ist. Der Weg in die Stadt ist öde, schließlich dann doch alte Häuser, das Kloster San Martiño Pinario, ein paar Bettler, die Weinflasche in der Hand, feuern an: Vorwärts Pilger, nur noch wenige Meter! Durch einen Torbogen, in dem ein Straßen-musikant sitzt, schrill auf einem Dudelsack spielt, erreiche ich den Platz, der von der Kathedrale, dem Parador „Hostal dos Reis Católicos“, dem Rathaus und dem Erzbischofs-palast eingerahmt wird. Hunderte Pilger und Touristen stehen, liegen herum, fotografieren, sich, die Kirche. Ich fühle mich erleichtert, aber leer, bin angekommen, aber das große emotionale Erlebnis bleibt aus, der Weg war lang, zu lang.

 

In der Kirche wird die Messe gefeiert, ich setze mich in eine hintere Bankreihe, versuche Besinnung, es geht nicht, Touristen laufen zwischen den Bänken hindurch, ungeachtet des Gottesdienstes, fotografieren, auch mit Blitzlicht, vergessen, dass sie in einer Kirche sind, nicht in einem Museum. Ich gehe still wieder hinaus, vielleicht ist es morgen anders.

 

Ich suche das Pilgerbüro auf, bitte um einen Stempel, um den Abschluss meiner Pilgerfahrt zu dokumentieren. Ohne dass ich danach gefragt hätte und ohne Rückfragen über meinen Weg, wird mir die Compostela ausgestellt.

 

Abends gehe ich durch die Stadt, finde nach längerem Suchen ein Restaurant, das keine Touristenfalle mit Billig-Pilgermenüs zu sein scheint, werde höflich bedient und esse ausgezeichnet.